Eine Kindergrundsicherung ist unbedingt notwendig. Übereinstimmung herrschte nicht nur in dieser Frage bei einem Informationsaustausch der Bundestagsabgeordneten Nezahat Baradari bei der Gemeinnützigen Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe mbH (GFO). Politik traf auf Praxis. Baradari: „Was nützt die ganze Politik, wenn sie nicht an den realen Bedürfnissen der Menschen und Familien hier vor Ort ansetzt? Sie sehen tagtäglich, welche Auswirkungen die Politik hat.“
Im Gespräch mit Heinz Brüggemann (Leitung Jugend- und Familiendienst Kompass), Reinhard Geuecke (Bereichsleitung Erziehungshilfen), Eva Maubach-Maiworm (Leitung Josefshaus), Susanne Schönauer (stellv. Leitung Jugend- und Familiendienst Kompass) und Marion Weidlich (Leitung Mutter-Kind-Haus) zeigte sich, dass die im Bereich der Erziehungshilfe Tätigen die geänderte Gesetzeslage im Bereich des sogenannten SGB VIII „nach einem sehr holperigen Start des Reformvorhabens“ (Geuecke) weitgehend positiv bewerten. Dieses Sozialgesetzbuch umfasst die bundesgesetzlichen Regelungen für die Kinder- und Jugendhilfe.
In vielen Punkten waren die Meinungen oft identisch: Kinderrechte stärken, Kindergrundsicherung einführen, Wohnformen für Mütter/Väter, Alleinerziehende, Kinder in familiären Problemsituationen, Stärkung der Schulsozialarbeit, Hilfen für junge Volljährige nach dem Verlassen einer psychosozialen Einrichtung, um auf eigenen Füßen zu stehen. Ganz oben auf der Tagesordnung für die in der Kinder- und Jugendhilfe erfahrenen Expertinnen und Experten und für die Abgeordnete aus Attendorn: Familien- und insbesondere die Kinder mit Gewalterfahrung jeglicher Couleur müssen gestärkt werden, weil diese viel zu selten im Fokus stehen.
Sehr wichtig sind auch sozial vorbeugenden Maßnahmen: „Jede Investition in frühe Förderung und Prävention ist ihr Geld wert!“ betonte Reinhard Geuecke. Und erzählt aus eigener Erfahrung von einer Jugendlichen, die einst als psychisch krank galt und durch die richtige Unterstützung jetzt das „Einserabitur“ gemacht habe sowie inzwischen studiere. Davon profitiere nicht nur der einzelne Mensch, sondern die ganze Gesellschaft.
Gleicher Meinung waren sich alle auch in Fragen des Kinderschutzes und sind froh, dass es bald von Seiten der GFO durch Kompass auch eine neue Beratungsstelle für Opfer sexualisierter Gewalt im Kreis Olpe geben wird. „Wir gewinnen manchmal den Eindruck, dass „unsere Gesellschaft mehr die Täter als die Opfer schützt“, so Baradari, will das aber nicht als „Juristenschelte“ verstanden wissen. Vieles sei gesetzlich verbessert worden. Und „die Mitmenschen sind aufmerksamer geworden gegenüber dem Leid von Kindern“ ergänzt Geuecke. Auch die Möglichkeiten, rechtzeitig einzuschreiten im Sinne des Kindeswohls, sollen ausgebaut werden.
„Große Sorge“ bereitet Geuecke die Unterversorgung mit kinderpsychiatrischen Hilfen und entsprechend ausgebildeten Ärzten: „In einem Gesamtpaket spielt doch alles zusammen.“ Dem kann die Abgeordnete als Kinder- und Jugendärztin nur beipflichten. Hier fehle es an finanzieller Unterstützung, zudem sei die kinderpsychiatrische Ausbildung „sehr speziell und dauert lange“. Das müsse schon an der Universität berücksichtigt und gefördert werden -„nicht nur an den Exzellenz- sondern an allen Unis“.
Gefragt nach Erfahrungen durch „Corona“ bedauerten die GFO-Vertreter ein wenig, dass die Beschäftigten in den Erziehungshilfen leider nicht die gleiche Beachtung in der Öffentlichkeit fanden wie die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheits- und Pflegedienst oder in Schulen und Kitas, obwohl hier rund um die Uhr unter sehr schwierigen Bedingungen gearbeitet wurde.
Auch andere Sorgen und Hindernisse wurden formuliert. Für gut befundene Änderungen im Gesetz sind das eine. Das andere wird die konkrete und praktische Durchführung vor Ort werden. Hier gehe die „Arbeit jetzt erst los“, befand Heinz Brüggemann. Insbesondere die künftige Eingliederung behinderter Kinder und Jugendlicher wird eine große Herausforderung für die Jugendhilfe werden. Hier wird auf die Jugendämter wie auch die freien Träger der Jugendhilfe viel Arbeit zukommen. Andererseits lohnt sich das Engagement, um die Inklusion in unserer Gesellschaft weiter voranzubringen.
Um diese Fragen weiter im Auge zu haben und Lösungen anzubieten, wollen die Vertreter der GFO und die Bundestagsabgeordnete auch zukünftig weiter im Gespräch bleiben.