Die Lage ist ernst, auch im Kreis Olpe. 35,5 Prozent aller Beschäftigten steuern mit Minijobs, Teilzeitbeschäftigung, Leiharbeit und Scheinselbstständigkeit geradewegs in die Altersarmut.
35,5 Prozent aller Beschäftigten im Kreis Olpe haben ein riesiges Problem. Weil sie beispielsweise als Mini-Jobber, Leiharbeiter, befristet Beschäftigte oder Scheinselbstständige in so genannten atypischen und prekäre Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, verdienen sie nicht nur wenig, sondern sind wegen der mangelnden Einbindung in das Sozialversicherungssystem auch noch von Altersarmut bedroht.
Dieses schockierende Fazit stand am Ende einer Podiumsdiskussion, zu der die Kreis-SPD ins Olper Kolpinghaus eingeladen hatte. Jürgen Weiskirch, Geschäftsführer des Verdi-Bezirks Siegen-Olpe und Gastredner des Abends, wies auch auf die gesamtgesellschaftlichen Nachteile der atypischen Beschäftigung hin: Der Kaufkraftverlust drücke die Binnennachfrage, auf dem Lohnsektor habe ein Unterbietungswettbewerb eingesetzt und während die sozialen Sicherungssysteme finanziell ausbluteten, müssten immer Sozialleistungen gezahlt werden.
Erschreckende Zahlen
Die Altersarmut macht mir große Sorgen, betonte auch der SPD-Kreisvorsitzende Bernd Banschkus. Jutta Hecken-Defeld, Bürgermeisterkandidatin der Wendener SPD, wies darauf hin, dass im Kreis Olpe fast 60 Prozent aller beschäftigten Frauen von atypischen Arbeitsverhältnissen betroffen seien. Das sind erschreckende Zahlen, so Hecken-Defeld. Schlimm sei auch, dass viele Beschäftigte keine Möglichkeit hätten, die betriebliche Altersvorsorge zu nutzen, weil sie gar nicht lange genug in den Unternehmen arbeiten.
Die Arbeitsrechtlerin Katja Kirmizikan (SPD-Ortsverein Olpe), die die Fragerunde moderierte, wollte von den beiden Bürgermeisterkandidaten Klartext hören. Für den Fall, sie seien Bürgermeister bzw. Bürgermeisterin: Wie würden sie dann mit der atypischen Beschäftigung vor Ort umgehen?
Jutta Hecken-Defeld sprach sich für einen Steuerungsmechanismus aus, der bei der Ansiedlung von Unternehmen in den kommunalen Gewerbe- und Industriegebieten atypische Beschäftigung ausschließe.
Wolfgang Wigger würde darauf achten, dass im eigenen Haus atypische Beschäftigung nicht stattfindet. So könne durchaus die Privatisierung der Gebäudereinigung wieder rückgängig gemacht werden. Außerdem schlug Wigger für den gesamten Kreis Olpe einen Runden Tisch gegen atypische Beschäftigung vor.
Der Olper BM-Kandidat forderte generell eine neue Unternehmenskultur. Es gibt positiv eingestellte Arbeitgeber, die behandeln Arbeitnehmer wie ein hohes Gut, sagte Wigger. Davon könne sich so mancher andere Firmenchef eine dicke Scheibe abschneiden.
Zwölf befristete Arbeitsverträge
Jürgen Weiskirch kritisierte derweil auch die überhand nehmenden befristeten Einstellungen scharf. Negativbeispiele kennt er zur Genüge. Eine Gerichtsmitarbeiterin zum Beispiel, die hintereinander zwölf (!) befristete Arbeitsverträge erhielt. Weiskirch: Wir brauchen eine Arbeitsmarktpolitik, die Befristungen nur mit Sachgrund zulässt. Darüber hinaus sprach sich der heimische Verdi-Geschäftsführer ebenfalls für ein radikales Umdenken aus: Unsere kapitalistische Marktwirtschaft muss wieder eine soziale Marktwirtschaft werden. Das funktioniere aber nur, wenn alle Akteure an einem Strang ziehen.
Warum gibt es eigentlich so massenhaft atypische Beschäftigung? Auch auf diese Frage hatte Weiskirch eine Antwort – und zwar eine, die am Donnerstag im Kolpinghaus nicht jedem gefiel.
Ursache ist die Zumutbarkeit, betonte der Gewerkschafter – und meinte damit die durch die Hartz-Gesetze auf die Spitze getriebene Regelung, dass für Arbeitslose jegliche Arbeit zumutbar ist. Und diese Entwicklung, so Weiskirch, sei von der Politik maßgeblich beeinflusst worden.