Schülergremium statt Richter

Neue Wege in der Justiz war das Motto einer Informationsveranstaltung des Siegener Jugendhilfevereins „Brücke”, die jetzt im Attendorner St.-Ursula-Gymnasium stattfand. Zu Gast war auch die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD).

In der knapp zweistündigen Veranstaltung wurden den Schülern der Jahrgangsstufe 12 und den Streitschlichtern der Schule das „Kriminal-Pädagogische Schülerprojekt Siegen (KPS)” und der sogenannte „Täter-Opfer-Ausgleich (TOA)” vorgestellt.

Das KPS gibt es in Siegen seit 2005. Es basiert auf der Überlegung, jugendliche Erst- oder Zweittäter statt vor ein Gericht vor ein Gremium Gleichaltriger zu stellen. „Unsere Erfahrung zeigt, dass sich junge Straftäter von dem Urteil anderer Jugendlicher viel mehr beeindrucken lassen als durch Schuldsprüche Erwachsener”, erklärte Projektleiterin Silke Menn-Quast und beschrieb den Ablauf.

Nach einem Vorgespräch mit einem Vertreter des „richtenden” Schülergremiums, einer Sozialpädagogin sowie dem Täter und dessen Erziehungsberechtigten kommt es zur „Verhandlung”. Hierbei verantwortet sich der Täter vor einem vierköpfigen Gremium aus Schülern möglichst aller Schulformen. Die Jugendlichen entscheiden nach einem ungefähr einstündigen Gespräch über die Sanktion. Diese kann von einer einfachen Entschuldigung über das Ableisten von Sozialstunden (etwa bei Körperverletzungen) bis hin zum Entzug des Rollerschlüssels beim Fahren ohne Fahrerlaubnis reichen.

Alle Schüler, die im Gremium über Sanktionen gegen Jugendliche befinden, sind von der „Brücke” unter Beteiligung der Polizeiinspektion Siegen und der Staatsanwaltschaft ein halbes Jahr lang sowohl in grundlegenden rechtlichen Fragen als auch in Rhetorik geschult worden.

Waren es im Jahr 2005 noch 40 Fälle, werden inzwischen jährlich doppelt so viele Delikte vor dem Schülergremium verhandelt. Die Erfolgsquote bei Zweittätern liegt in Siegen bei knapp 90 Prozent. Trotz dieser Erfolge ist nicht klar, ob das Projekt fortgesetzt werden kann, da die weitere Finanzierung nicht gesichert ist.

Zypris befürchtet Erosion des Gewaltmonpols

Ex-Justizministerin Brigitte Zypries steht einer bundesweiten Einführung des Projekts kritisch gegenüber. Sie befürchtet „eine Erosion des staatlichen Gewaltmonopols”.

Im zweiten Teil ging es um den sogenannten „Täter-Opfer-Ausgleich (TOA)”. Dieser wird seit 1990 im Jugend- und seit 1994 im Erwachsenenstrafrecht angewandt. Voraussetzungen hierfür sind die Bereitschaft sowohl des Täters als auch des Opfers, nach der Tat noch einmal unter Aufsicht eines Mediators zusammenzukommen und eine einvernehmliche Regelung oder auch „Strafe” zu finden. 50 bis 60 Prozent der Opfer und 75 Prozent der Täter sind zu diesem Schritt bereit. Besonders häufig kommt es bei Körperverletzungen zu einem TOA.

Dieses Projekt beurteilte die ehemalige Bundesjustizministerin wohlwollender. Ihr zufolge liegt die Erfolgsquote bundesweit sehr hoch: In 80 Prozent der Fälle kommt es zu einvernehmlichen Regelungen, zu 90 Prozent werden diese auch eingehalten.

Der Vertreter der Polizeiinspektion Siegen, Peter Ginsberg, bemängelte, dass der TOA besonders im Bereich des Jugendstrafrechts durch die Jugendämter zu selten in Anspruch genommen werde.