Brief der Woche an den Aufschwung

Lieber Aufschwung,

ich schreibe Dir einen Brief, damit du Dich freust. Wobei, das ist ja totaler Quatsch. Wie sollst Du Dich noch freuen können? Die Leute vom Münchner Ifo-Institut haben uns in dieser Woche die traurige Botschaft überbracht, dass Du im Sterben liegst. Und die Ifo-Leute müssen es wissen – die sind schließlich so was wie Deine Pressesprecher. Es geht zu Ende mit Dir, da ist nichts zu machen. Kein Arzt kann Dir mehr helfen – es gibt keine Maßnahme, die Dein Leben noch verlängern könnte. Noch vor kurzem haben die Ifo-Leute Deinen Gesundheitszustand ja ziemlich verharmlost und nur von einem leichten Schwächeanfall gesprochen, den Du locker überstehen würdest. Nun aber wirst Du viel zu jung von uns gehen!

Lieber Aufschwung, ich bin erschüttert und tief betrübt! Die Zeit mit Dir war viel zu kurz. Und das Traurige ist: wir haben uns nie richtig kennen lernen können. Dabei muss eine Begegnung mit Dir ja wirklich eine Bereicherung sein! Das erzählen zumindest alle, die mit Dir Bekanntschaft gemacht haben. Die Bosse deutscher Großkonzerne sind total hin und weg von Dir. Sie sagen: Du habest Sie glücklich gemacht. Indem Du die Gewinne ihrer Unternehmen und in der Folge auch ihre persönlichen Einkommen deutlich gesteigert hast.

Lieber Aufschwung, ich möchte Dir in Deinen letzten Stunden keine Vorwürfe machen – das wäre taktlos. Aber ich möchte doch ganz vorsichtig zum Ausdruck bringen, dass ich ein bisschen enttäuscht bin. Enttäuscht davon, dass Du Dich während Deines kurzen Lebens nie mit uns einfachen Leuten abgeben wolltest. Sondern immer nur mit den oberen Ich-weiß-nicht-wie-viel-tausend. Ohne schlecht über Dich reden zu wollen – man kann wirklich nicht sagen, dass Du ein Mann des Volkes gewesen wärest. Nein, wirklich volkstümlich, das ist eher Deine Kollegin Inflation. Die gesellt sich immer gerne zu uns einfachen Leuten – um nicht zu sagen: sie drängt sich auf. Dabei ist das wirklich ’ne Schreckschraube. Die greift uns andauernd in die Tasche. Im Supermarkt, an der Tankstelle, beim Essengehen. Überall fällt uns die Alte auf den Wecker.

Lieber Aufschwung, für den Fall, dass Du einmal wiedergeboren wirst – und daran muss ich einfach glauben –, solltest Du Dich genauso an uns ranwanzen wie Frau Inflation. In Deinem Fall würden wir das schön finden. Vermutlich wäre das ganze Land genau so aus dem Häuschen wie in dieser Woche wegen dieses Senatorbesuchs. Dieser Barack Obama, der weiß, wie’s geht. Immer schön lächeln – und allen die Hände schütteln. Den Merkels, Steinmeiers und Wowereits da oben genauso wie den kleinen Leuten. Von dem Obama weiß man zwar auch nicht, ob der noch mal wieder kommt. Denn er muss ja erst noch in das Amt gewählt werden, von dem im Moment versehentlich viele meinen, er bekleide es schon. Aber selbst, wenn er nicht wieder kommt, wird er wenigstens allen in guter Erinnerung bleiben. Das kann man von Dir, lieber Aufschwung, leider nicht behaupten.

Es grüßt Dich ganz herzlich

Dein Fan

Stephan Lochner

(gefunden bei SWR)